Aus Fehlern kann man lernen. Klingt gut – fällt aber dennoch den meisten im Alltag eher schwer. Wer einen Fehler vor anderen eingestehen muss, fühlt sich schnell unterlegen. Das tut der Seele nicht gut. Im Gegenzug kann es ein Gefühl der Überlegenheit erzeugen, andere auf deren Fehler hinzuweisen.
Perfektionisten, ob zuhause, in der Freizeit oder im Beruf, dulden keine Fehler. Noch heute habe ich jenen Hotelnachbarn vor Augen, der einen großen Teil der „kostbarsten Zeit des Jahres“ damit verbrachte, sich mit der Hotelleitung auseinanderzusetzen – wegen eines tropfenden Wasserhahns. Mein Vorschlag, einfach die Badezimmertür zu schließen, entsprach nicht seinem Naturell. Sein Urlaub hatte keinen Erholungswert.
Natürlich gibt es Bereiche, die höchste Präzision erfordern. Pflege und Ärzteschaft haben da einen großen Druck. Und eine kleine Schraube, die sich im Turbolader lockert und den Motor bei voller Autobahnfahrt zerlegt, ist kein Spaß für die Insassen.
Fehler müssen vermieden werden. In bestimmten Fällen haben sie fatale Folgen, in anderen aber nicht. Klug ist, wer die Situationen unterscheiden kann und entsprechend angemessen reagiert. Von Konfuzius ist überliefert: „Klug ist, wer einen Fehler macht und daraus lernt; dumm, wer denselben Fehler zweimal macht.“
Über das menschliche Fehlverhalten sagt Jesus Folgendes:
„In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht! Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei mit dir, damit die ganze Sache durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werde. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde! Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner” (Matthäus 18,15-17).
Jesus entwirft eine Art Stufenplan zur mitmenschlichen Korrektur. Im Kirchenjargon heißt das dann lateinisch: „correctio fraterna“ (mitbrüderliche Korrektur). Unbequem ist jedoch die Vorstellung, dass der Sünder sich vor der ganzen Gemeinde verantworten soll. Wie soll das laufen? Eine Art Tribunal mit öffentlicher Vorführung des Beschuldigten? Oder so wie ein Parteiausschlussverfahren. Thilo Sarrazin, der ehemalige und streitbare SPD-Finanzsenator von Berlin, könnte davon berichten.
Am besten wäre, es kommt gar nicht so weit. Deswegen der Stufenplan. An etwas späterer Stelle (V22) kommt auf die Frage des Petrus, wie oft er seinem sündigen Bruder vergeben solle – „siebenmal?“ – die Antwort: „siebenundsiebzigmal“.
Wir Christen sollen ganz viel vergeben. Doch wenn Menschen trotz mehrfacher Anläufe nicht zuhören wollen und verstockt sind, muss, wenn auch schweren Herzens, ein Schlussstrich gezogen werden. Die Maximalstrafe: „Dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner“, also ein Außenseiter. Die Pointe: Doch genau zu Zöllnern, Sündern und anderen Außenseitern geht Jesus immer wieder und sucht ihre Gemeinschaft! Wo Menschen absolut nicht mehr miteinander können, macht Gott trotzdem weiter!
Ich komme auf die oben genannte Klugheit der Unterscheidung zurück. Es ist eine große Verantwortung und Kunst, je nach Situation die passende Reaktion auf ein Fehlverhalten zu finden. Über das Ziel hinausschießen, kann nachhaltig Vertrauen zerstören. Einfach verschweigen kann ebenso problematisch werden. Damit kämpft VW heute noch – zum Leidwesen vieler.
Die Größe dieser Verantwortung zeigt sich im nachfolgenden Vers 18: „Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein.“ Menschlicher und göttlicher Bereich hängen zusammen. Alles, was wir tun, hat in Gottes Heilsgeschichte einen bleibenden, ja ewigen Charakter. Also: Bedenke, was du tust und sagst.
Der tröstliche Abschluss: Sogar wenn das Tischtuch unter Menschen zerschnitten ist, bleibt das Vertrauen auf die heilende Kraft der göttlichen Gegenwart: „Weiter sage ich euch: Was auch immer zwei von euch auf Erden einmütig erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten. Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen“ (V 19f).
Vielleicht können sich die Zerstrittenen nicht mehr in die Augen sehen. Aber sie können getrennt voneinander und in dieser Weise trotzdem einmütig den himmlischen Vater um etwas bitten. Eine Fürbitte für meinen Feind: „Guter Gott, es fällt mir schwer – aber trotzdem will ich für ihn bitten.“ Wir können die Bitte konkret inhaltlich ausformulieren oder alles Weitere Gott überlassen. Gelassenheit. Füreinander bitten heißt nicht, sich lieben zu müssen. Aber es hilft und befreit die eigene Seele von Zorn und Missmut. Seinen Feind lieben zu können, ist ein göttliches Geschenk.
Und Außenstehende können immer für zerstrittene Menschen beten. Das ist stets eine wichtige Aufgabe einer aufrichtigen christlichen Gemeinde.
Wo es der Alltag zulässt, genügt es manchmal, einfach nur fehlerfreundlich zu sein.
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