Plötzlich stelle ich ernüchtert fest, dass ich manchmal etwas abgestumpft bin. Vielleicht liegt es daran, dass meiner Seele die vielen Nachrichten nicht gut bekommen. Da liegt morgens schon die Heimatzeitung auf dem Tisch, nach der Arbeit gönne ich mir etwas Zeit und lese online die aktuellen Entwicklungen bei FAZ-NET oder WELT. Meine Frau tut das auch. Auf die Tagesschau verzichte ich meistens, sie nicht. Und jetzt, da es abends nicht mehr so warm ist, um draußen zu sitzen, landen wir beide vor dem Fernseher und suchen etwas Heiteres. Ich wäre neulich bereit gewesen, den alten und idyllischen Heimatfilm „Die Fischerin vom Bodensee“ (1956) anzuschauen. Sie nicht! So blieben wir bei einer Diskussionsrunde hängen. Kontroversen sind anstrengend. Unklug ist es, nach der Sendung in der Küche vor dem Kühlschrank stehend die Debatte fortzuführen. Wir sind beide froh, wenn wir vor der nötigen Nachtruhe den Frieden finden.
Der Friede ist verloren. Traurig und bitter das Schicksal von denen, die im Krieg sind. Wann hört das auf? Die Not wird größer und die Menschen leiden.
Wenn das Leben verloren geht …
Der römische Philosoph Seneca, den ich sehr schätze, schrieb: „Wie lange ich lebe, liegt nicht in meiner Macht; dass ich aber, solange ich lebe, wirklich lebe, hängt von mir ab.“
Das Leben finden – wie geht das?
Der Evangelist Lukas, den ich ebenfalls sehr schätze, erzählte ein bedeutsames Gleichnis:
„Wenn einer von euch hundert Schafe hat und eins davon verliert, lässt er dann nicht die neunundneunzig in der Wüste zurück und geht dem verlorenen nach, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war! Ich sage euch: Ebenso wird im Himmel mehr Freude herrschen über einen einzigen Sünder, der umkehrt, als über neunundneunzig Gerechte, die keine Umkehr nötig haben.“ (Lukas 15, 1-7)
Sünde zerstört den Frieden und schadet dem Leben.
Gott ist einer, der niemals abstumpft. Wie oft schon musste ER traurig auf seine lieben Geschöpfe schauen. ER ist einer, der immer wieder neu ins Leben ruft und dem Verlorenen nachgeht. Am Ende aller Tage wird alles, was verloren ist, wieder beisammen sein und die Freude wird groß. Das ist die tröstliche Zusage. Wer darauf vertraut, stumpft nicht ab, sondern sucht das Verlorene jeden Tag neu.
Thomas Seibert, Diplomtheologe
Bild: pixabay