Liebe Leserin, lieber Leser,
in der Gegend von Piemont gibt es einen Brauch. Wenn am Ostersonntag zum ersten Mal die Glocken läuten, laufen Kinder und Erwachsene an den Brunnen des Dorfes. Dort waschen sie sich mit dem frischen Wasser die Augen. Mancher wird einfach so mitlaufen und gar nicht mehr den Grund der Tradition kennen. Mit dem Waschen der Augen war die Bitte verbunden, neue Augen zu bekommen. Gleichsam OSTER-AUGEN, die neu sehen und das Neue sehen. Augen, die sehen was durch die Auferstehung Jesu in diese Welt gekommen ist. Augen, die sehen wo das Leben wächst und die Hoffnung und die Zuversicht.
Die Bitte nach Oster-Augen scheint mir nicht nur zur Osterzeit zu passen. Zu jeder Zeit möchte ich solche Augen haben. Während ich diese Zeilen schreibe sehen wir über unsere Medien Bilder der Zerstörung und des Todes. Die Zeit vor dem Krieg in Europa war eine Krisenzeit der Pandemie. Die Ereignisse in unserem ganz persönlichen Umfeld kommen noch dazu: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Brüche in den Beziehungen, Scheitern, Tod eines geliebten Menschen und andere Ereignisse, die verwunden und belasten. Was hilft uns in diesen Momenten Zuversicht und Hoffnung zu finden? Ich bin dankbar, dass ich von der Osterbotschaft berührt wurde. Ich bin dankbar für die Menschen, die mich durch ihre Worte und ihr Wirken, einem Gott nahebrachten, der ein Freund der Menschen und ein Liebhaber des Lebens ist. Solche Berührungen geschehen nicht ohne unsere Offenheit. Wer Ostern sehen möchte, darf um die Oster-Augen bitten. Mit Worten oder mit dem alten beschriebenen Brauch. Und dann könnte es gut sein, dass auch wir füreinander Menschen sind, die anderen die Augen öffnen für das Leben und für den Gott, der in Jesus Christus uns zeigt, dass er auf unserer Seite ist.
Ostern ist das Fest von Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen. Wer sich dem Osterglauben stellt, wird das viele Leid in der großen und kleinen Welt und im eigenen Leben schauen und nicht wegschauen. Mit der Osterbotschaft schauen wir auf einen leiden-schaftlichen Gott, der seine Liebe zu uns Menschen und der ganzen Schöpfung auch am Kreuz nicht zurücknimmt. Mit den Oster-Augen sehen wir, dass nicht der Tod das letzte Wort hat, sondern das Leben und überall die Hoffnungszeichen, die Gott uns schenkt. Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen Zuversicht und Lebensfreude aus der Osterbotschaft, die Christen auch in diesem Jahr wieder verkünden. Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Augen immer wieder und immer mehr Oster-Augen werden – die sehen können, wie trotz allem Dunkel und in aller Finsternis Oster-Lichter Hoffnung und Freude schenken.
Gesegnete Ostern wünscht Ihnen Ihr
Pfarrer Nikolaus Wurzer M.A.
Ich wünsche uns Osteraugen, die im Tod bis zum Leben sehen, in der Schuld bis zur Vergebung, in der Trennung bis zur Einheit, in den Wunden bis zur Heilung. Ich wünsche uns Osteraugen, die im Menschen bis zu Gott, in Gott bis zum Menschen, im ICH bis zum DU zu sehen vermögen. Und dazu wünsche ich uns alle österliche Kraft und Frieden, Licht, Hoffnung und Glauben, dass das Leben stärker ist als der Tod.
Klaus Hemmerle, Ostergruß 1993