Unser Sohn Daniel hat einen ersten und einen zweiten Wohnsitz. Den einen Teil seiner Zeit verbringt er in einem Heim in Ursberg, den anderen bei uns zuhause – gewöhnlich an Wochenenden und in den Ferien. Neulich fragte jemand, wie es ihm damit gehe. Nun, er kann es ja nicht sagen. Aber ein klarer Hinweis ist, dass er mit einem Lächeln im Gesicht aus dem Auto steigt, wenn wir ihn nach Ursberg bringen. Und ebenso, dass er mit einem Lächeln bei uns zuhause in Augsburg ankommt. Ich glaube, es gefällt ihm, eine doppelte Heimat zu haben.
Schmunzeln musste ich, als in der Schule ein Kind freudestrahlend erzählte: „Ich habe zwei Papas, die beide mit mir sehr viel Schönes machen.“ Es gibt die Gebrochenheit unseres Lebens und die Fähigkeit des Menschen, auch schwierigen Situationen etwas Gutes abzugewinnen. Der bekannte Wiener Arzt und Begründer der Logotherapie, Viktor E. Frankl, der den Schrecken eines Konzentrationslagers überlebt hatte, sprach von der „Trotzmacht des Geistes.“
Ein Blick in unsere Welt genügt, um zu erkennen: „Vollkommenes Glück erlangen wir hier auf Erden nicht.“ Es gibt vielleicht Momente totaler Erfüllung – diese sind jedoch begrenzt. Die Strophe eines Kirchenliedes lautet: „Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh mit mancherlei Beschwerden der ewigen Heimat zu“ (Georg Thurmair, 1935).
Ein Missverständnis wäre es aber, dieser Welt, die so viel Schönes bietet, mit Misstrauen und Pessimismus zu begegen. Dem entspricht ein im Christentum kultivierter Dualismus, also ein unversöhntes Nebeneinander zweier Bereiche: im Dieseits ein Zustand voller Mühe, Leid und Bösem – im Jenseits das vollkommene Glück.
Unsere Welt ist voller Dunkel – aber darin leuchten zahllose „goldene Funken“, die uns Hoffnung geben.
Wo bin ich nun zuhause? Wo ist mein erster Wohnsitz? In dieser oder jener Welt? Ich bin zuhause im Reich Gottes! Wo ist das? „Das Reich Gottes ist in Eurer Mitte“ (Lukas 17,21).
Thomas Seibert, Diplomtheologe
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