Immer wieder fragt mich mein Vater, welche Regeln denn nun gelten. In seinem Landkreis gelten natürlich andere Regeln als bei mir in der Stadt. „Also Papa: Wenn du in der Augsburger Innenstadt in diese und jene Straße gehst, musst du deine Maske aufsetzen. Wenn du dann aber zu mir kommst, kannst du in unserem Stadtteil die Maske wieder absetzen. Und bitte denk daran: Auf dem Weg zum Auto bleibt in der Innenstadt die Maske oben, im Auto muss sie wieder runter, sonst zahlst du ein drastisches Bußgeld.“ Ich habe es ihm erspart, die genauen Regeln an Straßenbahnhaltestellen zu erklären. Die Maskenpflicht gilt nämlich im ganzen Stadtgebiet im gesamten Haltestellenbereich, der meistens durch eine Markierung gekennzeichnet ist. Fehlt diese Markierung, ist es strittig, wo genau die Maskenpflicht nun in Kraft tritt. Vermutlich kommt es zu gerichtlichen Prozessen, um diesbezüglich die Rechtmäßigkeit von Bußgeldern zu prüfen.
Regeln müssen sein. Daran ist kein Zweifel. Trotzdem sollte es den Regel-Machern klar sein, ab wann es zu kompliziert wird. Außerdem ist zu bedenken, dass eine zunehmende Fülle von Vorgaben bei den einen Unverständnis und Verwirrung erzeugt, bei anderen Widerwillen. So geht der Blick für das Wesentliche verloren.
Ob Regierung, Verwaltung, Eltern, Pädagogen und auch Kirche: Die Verantwortlichen müssen sich um Verständlichkeit, Gerechtigkeit und ein sinnvolles Maß bemühen, damit das Wesentliche deutlich erkennbar bleibt.
Der Evangelist Matthäus hatte sich in seiner Gemeinde wohl mit etwas Ähnlichem zu beschäftigen. Es gab zu seiner Zeit 613 detaillierte Vorschriften zur Gestaltung des frommen religiösen Alltags. Wer hatte da noch die Übersicht? In diesem Kontext steht die folgende Begebenheit:
„In jener Zeit, als die Pharisäer hörten, dass Jesus die Sadduzäer zum Schweigen gebracht hatte, kamen sie am selben Ort zusammen. Einer von ihnen, ein Gesetzeslehrer, wollte ihn versuchen und fragte ihn: Meister, welches Gebot im Gesetz ist das wichtigste? Er antwortete ihm: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit deinem ganzen Denken. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. An diesen beiden Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.“ (Matthäus 22,34-40)
Jesus lässt sich nicht in die Irre führen und stellt das Entscheidende seiner Botschaft in die Mitte! Er setzt Prioritäten! Das Heil besteht im ewig gültigen Dreiklang von Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe. Das ist im Grunde sehr einfach. Das bedeutet nicht, dass alle anderen Gebote automatisch nichtig sind: „Das ganze Gesetz … hängt daran.“ Alle Gebote müssen sich auf diese drei wesentlichen beziehen.
Übertragen auf die kompliziert geregelte Welt, in der wir uns vorfinden: Wie gelingt konkret die Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu mir selbst? Das ist jeden Tag eine neue Aufgabe. Maßgebend ist dabei die entschiedene Grundhaltung aus dem Inneren des Herzens, die sich in allen Bereichen des Lebens entfaltet.
Welche Regel gilt denn nun, fragte mein Vater. „Achte auf die eigene Gesundheit und die der anderen – ganz einfach.“
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