Liebe Leserin, lieber Leser,
im Laufe des vergangenen Jahres hat sich mein Kalender 2021 mit verschiedenen Terminen gefüllt: jährlich wiederkehrendes Treffen mit früheren Arbeitskolleginnen, Geburtstagsfeier eines Freundes; und dann natürlich die dienstlichen Termine: Hochzeitsfeiern, Taufen, Dienstgespräche, Termine in der Gemeindeberatung. Und jetzt muss ein Termin nach dem anderen gestrichen werden. Verschoben auf später…
Einen Termin musste ich noch nicht streichen – vermutlich weil ich ihn gar nicht eingetragen habe. Denn er ist schon vorgedruckt: Ostern. Gott-sei-Dank müssen wir nicht fragen, ob wir heuer Ostern feiern sollen. Bei welchem Inzidenzwert wäre die Feier zu vertreten? 100 oder 35 oder 10? Ostern steht im Kalender, weil es um weit mehr geht als um ein Familienfest oder den anbrechenden Frühling.
Es geht um Leben und Tod. Ostern betrifft das Leben des Menschen und der ganzen Schöpfung und hat seinen Grund in der Auferstehung Jesu. Dies ist das Zentrum christlichen Glaubens. Ohne Jesus Christus und das Zeugnis seines tiefsten Vertrauens zu Gott, der ein Freund der Menschen und Liebhaber des Lebens ist, hätte das Christentum seine Mitte verloren. Deshalb können wir unmöglich das Osterfest streichen. Es ist die heilsame Erinnerung, dass die Menschheit und die ganze Schöpfung bei Gott in guten Händen sind. Ostern feiert den Sieg des Lebens gegen alle lebensbedrohlichen Todesmächte der Zeit.
Die Pandemie, die uns gerade zugemutet ist, fordert viele Menschen bis an die Grenzen des Belastbaren. Mancher mag da auch an Gott zweifeln – und das ist nicht verboten. Alle unsere Anstrengungen das Virus zu besiegen sind im tiefsten getragen von der Hoffnung auf Zukunft, auf Leben in Beziehung und Gemeinschaft, auf Erfahrung von Freude und Leben ohne Angst. Wo immer wir diese Erfahrungen hier und jetzt schon machen dürfen und wo Menschen uns diese Erfahrungen ermöglichen, da scheint etwas durch von der Lebensweise des Jesus von Nazareth und dem Wesen seines und unseres Gottes. Das Ostergeheimnis: das Leben besiegt den Tod, die Liebe überwindet den Hass, das Licht vertreibt die Dunkelheit, ich habe auch mit meinen Verletzungen eine Zukunft… darf eigentlich nicht nur an einem Tag im Kalender seinen Platz haben.
Jeder Tag kann für Sie und mich ein Ostertag werden. Manchen Sie Augen und Ohren auf und nehmen Sie wahr, bei wie vielen Gelegenheiten uns dies immer wieder geschenkt wird und wie oft wir diese Erfahrungen machen dürfen. Und wem es nicht zu wenig ist, mag sich vor Augen führen, dass jeder Augenblick ein Geschenk ist, das mir ohne mein Zutun zufällt und jeder Atemzug eine Zukunft schenkt, die mir eröffnet ist, wie immer auch meine Vergangenheit war. Ich wünsche Ihnen, dass Ihnen ganz viele Ostermomente in den nächsten Tagen und Wochen geschenkt werden und Ihnen diese Erfahrungen Kraft und Zuversicht für Ihr Leben schenken. Und vielleicht trauen Sie sich in Ihren Kalender an der einen oder anderen Stelle das Wort Ostern einzutragen. Wenn Sie dann am Ende des Jahres ihren Kalender zurückblättern könnte es sein, dass Sie dann nicht nur gestrichene Termine finden, sondern dass aus dem Kalender ein Osterkalender geworden ist. Ich würde es Ihnen von ganzem Herzen wünschen.
Gesegnete Ostern wünscht Ihnen Ihr
Pfarrer Nikolaus Wurzer M.A.