Nun ist sie schon sehr lange zu – und vermutlich bleibt sie es auch. Jene Tür des Gasthofs „Zum Ochsen“, durch die ich in den letzten zwanzig Jahren schon oft gegangen bin, um dort mit lieben Menschen schöne Stunden zu verbringen. Es gab zahlreiche bedeutsame Gespräche – in den heiteren Zeiten meines Lebens und auch in den schwierigen. Der Biergarten – ein Hauch vom Paradies. So gesehen tragen die netten Bedienungen und die gute Küche dazu bei, den Menschen eine Freude zu bereiten, die über das Diesseitige hinausgehen kann.
Die Namen der alten Gasthöfe haben oft einen biblischen Hintergrund. Der alttestamentliche Prophet Ezechiel (1,10) hatte eine Vision von vier endzeitlichen geflügelten Lebewesen: Ein Mensch – ein Löwe – ein Stier – ein Adler. Im letzten Buch der Bibel, in der Offenbarung des Johannes, wird das aufgegriffen (4,6-8). Im vierten Jahrhundert ordnete dann der Kirchenvater Hieronymus diese vier Wesen den vier Evangelisten zu. Er blickte dabei immer auf die Anfangstexte: Dem Matthäus, der vom Stammbaum Jesu bis zu Adam berichtet, wurde der Mensch zugeordnet. Dem Markus der Löwe, weil Markus von den wilden Tieren in der Wüste erzählt. (Der geflügelte Löwe ist das Wappentier der Venezianer, die übrigens das Tragen von Masken schon länger gewohnt sind.) Lukas steht mit dem Stier bzw. Ochsen in Verbindung, was mit dem Priester Zacharias und dem Opferkult zu tun hat und dem Ochsen bei der Krippe Jesu. Und Johannes mit dem Adler, der symbolisch für das geisterfüllte und majestätisch geflügelte Wort steht. Deswegen heißen viele unserer Gasthöfe: „Zum Löwen“, „Zum Ochsen“ oder „Zum Adler“. „Zur Sonne“ ist auch biblisch, denn Christus gilt als „Licht der Welt“.
Im Gegensatz zu einem Biergarten oder einer Oase ist das Leben in der Wüste schwierig: Einsamkeit und Durst bestimmen das Geschehen – und groß ist die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Erfrischung. Die Gegenwart empfinden viele wie eine Wüstenerfahrung. Davon erzählt der Evangelist Markus:
„In jener Zeit trieb der Geist Jesus in die Wüste. Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm. Nachdem Johannes ausgeliefert worden war, ging Jesus nach Galiläa; er verkündete das Evangelium Gottes und sprach: Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!“ (1, 12–15)
Was geschieht, wenn der Geist Gottes mich in die Wüste führt? Was gibt mir Hoffnung?
Ich habe eine Vision vom Reich Gottes, vom Paradies. Keine große, so wie die biblischen Erzähler. Nur eine kleine – für meinen Alltag. Für die Menschen um mich herum, die lieben und die anderen. Für die Heiteren und auch die Traurigen. Für die Jungen und die Alten. Für die Gesunden und die Kranken. Für die Lebenden und die Gestorbenen. Eine Vision …
P.S. Der Prophet Jesaja malte ein wunderschönes Bild vom Paradies, daraus nur eine Zeile: „Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Knabe kann sie hüten“ (11,6). Wenn der Löwe da oben neben mir im Biergarten läge, … Jesaja meinte, er würde nur Stroh fressen.
Thomas Seibert
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