Das junge Pärchen stand vor der großen Kühltheke im Supermarkt und studierte genau die Inhaltsangaben verschiedener Käseprodukte. Ich persönlich habe mich mit diesen Details niemals so genau befasst. Es schmeckt oder es schmeckt nicht. Fertig. Die hungrige Familie im Nacken hetzte ich weiter durchs Geschäft. Nach einer halben Stunde war mein Einkaufswagen wie immer randvoll. Leider hatte ich irgendetwas von der Kühltheke vergessen. Ich eilte zurück und sah zu meinem Erstaunen das Pärchen immer noch an der gleichen Stelle – sie hielten nun zwei Packungen in der Hand und diskutierten über die Schädlichkeit diverser Inhaltsstoffe.
Entscheidungen müssen gut begründet sein. Es gibt aber die Gefahr, diesen Prozess zu überdehnen. Es ist schlicht unmöglich, jede Einzelheit durchzuspielen. Eine andere Gefahr ist, auf alle möglichen Leute und Stimmungen zu achten. Die Medien liefern manchmal zur Beliebtheit einer politischen Person am gleichen Tag drei verschiedene Umfragewerte und zahllose rein spekulative Kommentare über mögliche Konsequenzen und Konstellationen. Ob das immer Sinn macht?
Von einer schnellen und trotzdem sehr guten Entscheidung erzählt die Apostelgeschichte:
„In jenen Tagen erhob sich Petrus im Kreis der Brüder – etwa hundertzwanzig waren zusammengekommen – und sagte: Brüder! Es musste sich das Schriftwort erfüllen, das der Heilige Geist durch den Mund Davids im Voraus über Judas gesprochen hat. Judas wurde zum Anführer derer, die Jesus gefangen nahmen. Er wurde zu uns gezählt und hatte Anteil am gleichen Dienst. Es steht im Buch der Psalmen: Sein Amt soll ein anderer erhalten! Es ist also nötig, dass einer von den Männern, die mit uns die ganze Zeit zusammen waren, als Jesus, der Herr, bei uns ein und aus ging, angefangen von der Taufe durch Johannes bis zu dem Tag, an dem er von uns ging und in den Himmel aufgenommen wurde – einer von diesen muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner Auferstehung sein. Und sie stellten zwei Männer auf: Josef, genannt Barsábbas, mit dem Beinamen Justus, und Matthías. Dann beteten sie: Du, Herr, kennst die Herzen aller; zeige, wen von diesen beiden du erwählt hast, diesen Dienst und dieses Apostelamt zu übernehmen! Denn Judas hat es verlassen und ist an den Ort gegangen, der ihm bestimmt war. Sie warfen das Los über sie; das Los fiel auf Matthías und er wurde den elf Aposteln zugezählt“ (Apg 1,15-26).
Die junge Kirche war in Unordnung geraten. Einer der engsten Vertrauensleute Jesu, Judas, hatte sich total verkalkuliert. Der Kreis der zwölf Apostel war nicht mehr vollständig. Die Zwölf repräsentierten nämlich die zwölf Stämme Israels. Damit verbunden war die Idee der Vollständigkeit und der Heilszusage Gottes an das gesamte Volk Gottes. In der Antike galten zudem die Zahl Zwölf und der Kreis als Symbol der Vollkommenheit – die römischen Ziffern auf unseren Uhren erinnern noch daran. Kurz nebenbei: Die „13“ fällt als erste aus der vollkommenen Ordnung heraus. Deswegen galt sie als „Unglückszahl“. Zurück zum Thema: Es war notwendig, den Kreis der Jünger wieder rasch zu vervollständigen. In moderner Sprache würde man von Marketing sprechen oder einem Alleinstellungsmerkmal – aber es ging um mehr: Die vollkommene Zusage Gottes an seine Kirche. ER gibt sich nicht mit elf Jüngern zufrieden, also mit 91,7 %. Gott will 100 %! Verstanden als Zusage ist das der Grund eines grenzenlosen Vertrauens – und zwar beidseitig: Gott vertraut uns und seiner Kirche, und wir IHM. Verstanden als Aufforderung Gottes an uns und seine Kirche können 100 % manchmal sehr herausfordernd werden. Was bedeutet es, sich vollkommen Gott zu überlassen?
Also: Petrus erkannte die Dramatik, er spürte den “Kairos”, das “göttliche Jetzt” , und fackelte nicht lang. Er setzte kurzerhand zwei Bedingungen: Es brauchte zwei Männer, die mit der Sache Jesu von Anfang an vertraut waren. Vielleicht hätte er in heutiger Zeit eine der Frauen aus dem Kreis um Jesus ausgewählt. Wir wissen es nicht. Für einen langwierigen Wahlkampf mit Bewerbungsreden war damals keine Zeit. Entscheidend ist der Hinweis auf das Gebet! Sie durften das ganze Problem Gott überlassen. Das war befreiend!
Wenn Menschen an Grenzen kommen, können sie in Hektik geraten und irgendetwas tun, damit irgendetwas gemacht ist. Ich kenne Personen, die am Sterbebett eines lieben Angehörigen den “Kairos” nicht begriffen haben: Es gibt eben eine Zeit, um zu gehen! Stattdessen: „Herr Doktor, tun sie doch etwas.“
Die Gemeinde damals hatte Grund zur Sorge – aber: Sie vertrauten zu 100% auf Gott! Übrigens: Matthias heißt „Gabe Gottes“. Das ist eine Zusage!
Ja – die beiden an der Kühltheke: Wer so misstrauisch ist, läuft Gefahr, am Leben vorbeizugehen.
Thomas Seibert
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