Nicht wenige Menschen empfinden ihr Leben als beschwerlich und mühsam. Wenn es über längere Zeit kaum glückliche Erlebnisse gibt, gerät die geplagte Seele in Not. Neulich sagte mir jemand in diesem Zusammenhang den Satz: „Da hilft bloß noch trinken!“ Um glückliche und unglückliche Stunden, um guten und schlechten Wein geht es dem Evangelisten Johannes in einer bedeutsamen Geschichte:
„In jener Zeit fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt und die Mutter Jesu war dabei. Auch Jesus und seine Jünger waren zur Hochzeit eingeladen. Als der Wein ausging, sagte die Mutter Jesu zu ihm: Sie haben keinen Wein mehr. Jesus erwiderte ihr: Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter sagte zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut! Es standen dort sechs steinerne Wasserkrüge, wie es der Reinigungssitte der Juden entsprach; jeder fasste ungefähr hundert Liter. Jesus sagte zu den Dienern: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie füllten sie bis zum Rand. Er sagte zu ihnen: Schöpft jetzt und bringt es dem, der für das Festmahl verantwortlich ist! Sie brachten es ihm. Dieser kostete das Wasser, das zu Wein geworden war. Er wusste nicht, woher der Wein kam; die Diener aber, die das Wasser geschöpft hatten, wussten es. Da ließ er den Bräutigam rufen und sagte zu ihm: Jeder setzt zuerst den guten Wein vor und erst, wenn die Gäste zu viel getrunken haben, den weniger guten. Du jedoch hast den guten Wein bis jetzt aufbewahrt. So tat Jesus sein erstes Zeichen, in Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit und seine Jünger glaubten an ihn“ (Johannes 2, 1–11).
Wein ist ein Zeichen der Lebensfreude. Besonders gefällt mir, dass der Evangelist Johannes als erstes Wunder ein Weinwunder erzählt. Damit macht er ganz klar deutlich: Die Lebensfreude, das Feiern von Festen, sind ganz wichtig! Die Szene in der Bibel: Ein rauschendes Fest, eine schöne Hochzeit mit vielen Gästen – und der Wein geht aus. Das ist peinlich! Wenn die Freude am schönsten ist, wenn es uns gut geht, kommt oft – ganz überraschend – eine große Sorge. Und dann ist es ganz wertvoll, wenn Menschen da sind, die unsere Sorge teilen.
Maria ist eine Frau voller Fürsorge – sie kümmert sich um das Wohl der anderen und sagt zu Jesus: „Sie haben keinen Wein mehr.“ Ich kann mir gut vorstellen, dass Jesus, der Menschensohn, eine große Freude bei dem Fest hatte. Plötzlich kommt die eigene Mutter mit ihrer Sorge. Es droht das Ende der schönen Zeit. Eine Erfahrung, die wir alle kennen: Eine schöne Zeit kann ganz schnell zu Ende sein! Das weiß auch Jesus. Gott selbst, sein Vater, gab ihm einen sehr schweren Auftrag, der am Kreuz enden wird. Seine Stunde wird kommen. Das Ernste, das Bittere und Traurige bahnen sich an. Deswegen: Ich kann seine schroffe Antwort an Maria gut verstehen: „Was willst du von mir, Frau?“ – “Bitte, jetzt noch nicht! Der Augenblick ist doch so schön!”
Was tut Maria? Sie vertraut. Sie weiß, dass ihr lieber Sohn Jesus die Freude aller Menschen will. Sie vertraut, dass da, wo Jesus ist, die Freude bei uns bleibt. Die bitteren Stunden werden kommen. Das wissen wir alle! Und trotzdem darf die Freude weitergehen. Und oft geschehen Wunder. Die Diener füllten die Wasserkrüge bis zum Rand. Jesus sagt: „Schöpft jetzt!“ Es geht darum, in der Gegenwart zu leben. Wir dürfen die schönen Stunden auskosten – bis zum Rand!
Das Leben kennt viele traurige Stunden. Aber die Freude Gottes und unsere Freude an Gott sind stärker!
Thomas Seibert
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