Es ist in der bis zur letzten Bank gefüllten Inninger Pfarrkirche St. Peter und Paul ganz still. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Der Blick nach vorn zum kunstvoll beleuchteten Altarraum. Philipp und Julian Schaller sorgen mit ihrer beachtenswerten Lichtinstallation für die perfekte Atmosphäre. Die vertrauten barocken Elemente erscheinen in neuer Weise. Neben mir sehe ich die staunenden Augen eines ukrainischen Kindes, das ebenso wie ich auf das kommende Geschehen wartet.
Pfarrer Nikolaus Wurzer M.A. begrüßt das Publikum und erläutert mit prägnanten Worten wichtige Hintergründe zu Ludwig Thomas´ „Heiliger Nacht“, die im Kriegsjahr 1917 veröffentlicht wurde. Das Elend des Krieges und die Suche der Menschen nach Schutz sind die traurige Brücke zur Gegenwart. Das ukrainische Kind neben mir kann wohl nicht alles verstehen, vielleicht seine Mutter. Beide lauschen voller Andacht.
Ludwig Thoma übersetzte die Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Lukas, die keine idyllische ist, in den oberbayerischen Kontext.
Als die Musiker Ulrike Netzler an der Harfe, Manuela Lohner auf dem Hackbrett, Gerhard Schäferling auf der Gitarre und Karl Hahn auf der Zither ihr Spiel beginnen, kommt sie doch: die idyllische alpenländische Stimmung. Genau darin liegt die kunstvolle Spannung, die das Publikum fasziniert. Denn die Idylle verweist auf eine tiefe Sehnsucht nach Heil – Heil, das trotz aller menschlichen Verhärtung des Herzens letztlich von oben kommt.
Fritz Manzeneder, der aus einem österreichischen Ort in der Nähe der bayerischen Grenze stammt, verleiht dem Text eine ganz besondere und sehr authentische Note. So gelingt es Manzeneder zusammen mit dem stimmlich beeindruckenden Männergesangsverein Cäcilia, die Menschen hineinzuführen in eine andere Wirklichkeit einer doppelten Vergangenheit: die des Jahres 1917 und die jener Zeit der Geburt Christi – eine Vergangenheit, die zugleich Gegenwart ist.
Ich blicke auf das ukrainische Kind neben mir und seine Familie, die Mutter und die Großeltern, die alle in Inningen eine Herberge gefunden haben. Es gibt Menschen, die sich vom Leid anderer anrühren lassen, ihren Teil zum Guten beitragen und so unserer Welt ein neues Gesicht geben. In Ludwig Thomas´ Version der Weihnachtsgeschichte ist es jener arme Bauer, der sich liebevoll um einen warmen und strohduftenden Stall kümmert, damit Gott in diese Welt kommen kann.
Am Ende bedankt sich die Initiatorin Hildegard Heimerl bei den Mitwirkenden für deren spontane Zusage vor rund einem Jahr. Das Publikum spendet lange andauernden Beifall für die gelungene Vorstellung, die mehr ist als eine Vorstellung. Es ist nämlich eine Einladung, sich für die Gegenwart Gottes in einer gebrochenen Welt zu öffnen.
Thomas Seibert
Bild: Andreas Netzler