„Erfolg besteht nicht darin, keine Fehler zu machen, sondern darin, den gleichen Fehler kein zweites Mal zu begehen.“ Ich hatte es mir in der etwas angespannten Verkehrslage kurz vor dem Erreichen des Hotels erspart, meiner lieben Frau diesen Satz des irischen Dramatikers George Bernhard Shaw (1856 – 1956) entgegenzuhalten. Wir waren wieder an der gleichen Kreuzung falsch abgebogen. Meine Frau und ich verstehen uns prima – auch im Urlaub bei großer Hitze und mit leerem Magen. Sie hat keine gute Orientierung – so wie ich. Eine ausreichende Menge an Gemeinsamkeiten fördert den Zusammenhalt einer Ehe. Natürlich ist es manchmal hilfreich, sich durch verschiedene Eigenschaften zu ergänzen. Ich kann zum Beispiel gut rückwärtsfahren und in beengten Verhältnissen zügig wenden – sie kann gut derweil die Umgebung erkunden und schöne Geschäfte und Lokale entdecken – was uns beiden nutzt. „Die Infrastruktur dieser Stadt ist hervorragend“, bemerkte sie. „Hast du eine Boutique gesehen?“ fragte ich – was sie mit einem freudestrahlenden Lächeln bejahte. Am übernächsten Tag erwarb sie dort ein schönes „Hängerl“.
Zur Infrastruktur einer Stadt gehören zudem angenehme Plätze, die ein Verweilen erlauben. In Gmunden steht direkt am Hafen eine sehr große Linde, die den hitzegeplagten Menschen kühlen Schatten spendet. Früher konnten sich die erschöpften Zugtiere der schweren mit Salz beladenen Wagen und die Fuhrleute hier erholen.
In den alten nordischen Sprachen findet sich der Wortstamm „lind“ mit den Bedeutungen weich, biegsam, geschmeidig und wohltuend. Das uns vertraute Wort „Linderung“ hat damit zu tun – und der Name des schattenspendenden Baumes mit dem weichen und biegsamen Holz – eben der Linde.
Ich sitze in ihrem Schatten und lasse die Gedanken, gleich den Schiffen auf dem See, vorüberziehen. Manches im Leben erfreute, manches nicht. Was ist mir gelungen? Wo habe ich Fehler gemacht? Sogar die gleichen mehrfach. Folge ich in bestimmten Situationen einem fragwürdigen Verhaltensmuster?
Es ist notwendig, sich für die Reflexion – das Nachdenken über das eigene Verhalten regelmäßig Zeit zu nehmen und einen passenden Ort zu finden – zum Beispiel eine Linde.
Dazu passt eine einmalige Aussage Jesu über sich selbst, die eine lindernde Wirkung hat: „Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“ (Matthäus 11,29). Das Joch ist ein Tragholz, das hilft, Lasten leichter ziehen zu können. Die Lasten des Lebens bleiben – aber sie lassen sich gemeinsam mit Jesus leichter tragen. Von ihm lernen: Sanftmütigkeit und Demut im Herzen – gegenüber mir selbst und anderen.
Thomas Seibert, Diplomtheologe
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