Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn wir in diesen Tagen auf den Friedhof gehen, zeigen wir, dass wir unsere Toten nicht einfach vergessen. Das Gedenken an die Toten und die Gemeinschaft mit ihnen ist uns wichtig.
Das ist nicht selbstverständlich. Es gibt viele Formen der Flucht vor dem Tod, der Ausklammerung des Todesthemas. Viele verdrängen ängstlich jeden Gedanken daran. Manche haben unsagbare Angst vor dem Sterben. Die Gemeinschaft mit den Toten kommt zwar in jeder Eucharistiefeier der Gemeinde zum Ausdruck, wenn der Priester im Hochgebet der Entschlafenen gedenkt. Aber einmal im Jahr wird diese Gemeinschaft zum besonderen Thema. Wer am Leben der Kirche teilnimmt, weiß, wie im Laufe eines Jahres die ganze Bandbreite christlicher Existenz angesprochen, durchdacht, besungen, gelebt und gefeiert wird, von Advent über Weihnachten, Fastenzeit, Ostern, Pfingsten, bis hin zum November, dem Monat des Totengedenkens. Vordergründiges, das allzu wichtig geworden ist, wird im Gedenken an die Toten durchsichtig auf das hin, was wirklich wesentlich ist, auf das hin, was bleibt.
Gerade angesichts der Gräber ist ja die Frage unvermeidlich: Was zählt noch über den Tod hinaus? Nicht mehr das, was einer hat, sondern nur noch das, was einer ist.
Wichtiger als das, was im Tod wegfällt, ist das, was bleibt. Unser Glaube lebt von der festen Überzeugung: Jeder Mensch ist einmalig, unverwechselbar. In seiner Rolle ist jeder ersetzbar, aber als dieser einmalige Mensch ist keiner ersetzbar. Für jeden Einzelnen gilt: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.“ (Jesaja 43,1)
Jeder Friedhof ist Ausdruck der Ehrfurcht vor der unverwechselbaren Einmaligkeit eines jeden Menschen. Jeder Friedhof ist Bekenntnis einer Hoffnung, die über den Tod hinausgeht. Hier vermodert keine Vergangenheit – hier keimt Zukunft. Die Gräber sind nicht Endstation! Ein Friedhof ist Zeichen der Hoffnung über den Tod hinaus.
In der Hoffnung auf diese Zukunft grüßt Sie herzlich
Nikolaus Bernhard
(Seelsorge an den Hessing-Kliniken)