Es ist eine eigene Kunst, Schlagzeilen zu machen. Im Schriftenstand eines Ladens lese ich in der TZ die Überschrift: „Renten-Paradies Österreich. Nachbarn kassieren 800 € mehr!“ Eigentlich lese ich das Blatt nicht. Doch diesmal will ich mehr darüber wissen. Der Blick in die Familienkasse, die vielen Ausgaben, die Zukunft der Kinder und der Gedanke, irgendwann von der Rente all das finanzieren zu sollen, wecken meine Neugier für das Thema. Neugier zu wecken, ist wichtig für den Verkauf einer Zeitung. Das Münchner Blatt zieht ein weiteres Register. Die spezielle Beziehung der Bayern zu ihren alpinen Nachbarn. Konkurrenzgefühle und „Feindbilder“ werden aktiviert. Natürlich wird Neid geschürt. Die Habgier wird ebenfalls bedient. Und am Schluss kommt noch der Zorn über ein vermeintliches Unrecht. Für die Zeitungsmacher geht es darum, viele Gefühle zu entfachen.
Der Evangelist Matthäus will keine Zeitung verkaufen, aber er schielte zu biblischer Zeit wohl auch auf eine möglichst große Leserschaft. Seine „Story“ über das Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger (Kap 18,23-35) geht in Kürze so:
Jesus vergleicht das Himmelreich mit einem König, der von seinen Dienern Rechenschaft verlangt. Einer hat 10.000 Talente Schulden – in Euro eine Millionensumme. Man kann sagen: „Er war richtig fett pleite!“ Er geht zum König, jammert und verspricht Rückzahlung. Der König hat Mitleid. Will sagen: Gott ist sehr gnädig! Doch dann die Überraschung. „Als nun der Knecht hinausging, traf er einen Mitknecht, der ihm hundert Denáre schuldig war. Er packte ihn, würgte ihn und sagte: Bezahl, was du schuldig bist! Da fiel der Mitknecht vor ihm nieder und flehte: Hab Geduld mit mir! Ich werde es dir zurückzahlen. Er aber wollte nicht, sondern ging weg und ließ ihn ins Gefängnis werfen, bis er die Schuld bezahlt habe.“ Die anderen Diener verpetzen ihm bei ihm König, und der wird total sauer: „Deine ganze Schuld habe ich dir erlassen, weil du mich angefleht hast. Hättest nicht auch du mit deinem Mitknecht Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte? Und in seinem Zorn übergab ihn der Herr den Peinigern, bis er die ganze Schuld bezahlt habe.“
Eine Geschichte mit sehr vielen starken Gefühlen. Matthäus setzt noch eins drauf: „Ebenso wird mein himmlischer Vater euch behandeln, wenn nicht jeder seinem Bruder von Herzen vergibt.“ Das ist eine Drohung. Lange Zeit wurde in der Kirchengeschichte das Bild vom drohenden und strafenden Gott missbraucht. Nicht selten resultierte daraus ein weichgespültes Gottesbild, das aber der biblischen Grundlage nicht gerecht wird.
Sachlich formuliert könnte man sagen: Es ist Gott sehr wichtig, dass wir gut und barmherzig zueinander sind. Weil es dabei jedoch nicht um irgendeine Zutat des Christseins geht, sondern um das Zentrale, das Kerngeschäft, wird Jesus äußerst gefühlvoll und leidenschaftlich.
Walter Kardinal Kasper sagt: Barmherzigkeit ist die Gerechtigkeit Gottes. Und: „Die Barmherzigkeit ist Widerschein der Herrlichkeit Gottes in dieser Welt und der Inbegriff der uns geschenkten und von uns weiter zu schenkenden Botschaft Jesu Christi.“ (Kasper, Barmherzigkeit, S.213)