Die schwache Rückfahrleuchte an dem Möbellaster war in der Nacht keine große Hilfe. So war ich auf die Spiegel an den beiden Seiten des Führerhauses angewiesen. Vorsichtig rangierte ich mit trüber Sicht das Gefährt in die sehr enge Parklücke eines Wohngebietes. Nach einigem Hin und Her machte ich den Motor aus und ging. Erst am übernächsten Tag stellte ich im Morgenlicht überraschend fest, dass der Wagen in nahezu perfekter Position nicht im Parkverbot stand, sondern auf ihm. Genau genommen auf dem Parkverbotsschild, das nun unter dem Laster war. Die Polizei hatte es auch nicht bemerkt und an der Hebebühne am Heck war kein Schaden.
Im Leben müssen wir oft handeln, obwohl wir keine vollkommene Klarheit haben. Erst im Nachhinein zeigt sich die wahre Situation. „Hinterher ist man immer klüger“, lautet eine Redensweise. „Wenn ich die Uhr noch einmal zurückdrehen könnte, würde ich …“ – ein interessanter, aber im Grunde sinnloser Gedanke.
Wie kommen wir der Wahrheit näher? Die Mystik spricht vom „Spiegel der Seele“. Will sagen: Gott hat uns die Fähigkeit gegeben, das Wahre, Schöne und Gute zu erkennen, aber eben nur im Spiegelbild. – Also: Vorsicht bei denen, die behaupten, alles zu wissen.
Der Apostel Paulus zeichnete zu dieser Frage ein ansprechendes Bild:
„Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe“ (1. Brief an die Korinther 13, 12-13).
Wir dürfen dem Spiegelbild vertrauen, aber in dem Bewusstsein, dass sich die vollkommene Wahrheit erst Licht des göttlichen Morgens zeigt.
Thomas Seibert
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