Und freundlich sagt sie: „Gehen sie bitte ins Wartezimmer.“ Dort sitze ich nun mit einem unguten Gefühl. Ich schaue auf die anderen, die ebenfalls schweigend schauen. Da hängen Bilder an der Wand und Diplomurkunden. Ich kenne sie schon. Warten ist irgendwie etwas Negatives.
Im Althochdeutschen wurde „warten“ im Sinne von „Ausschau halten“ verstanden. Das Wort „Warte“ gibt davon Zeugnis. Wenn das Auto zur Inspektion muss, spricht man auch von der „Wartung“, weil sich der Mechaniker alles genau ansieht. Das ist wichtig. In diesem Blickwinkel kann ich dem Wartezimmer etwas Positives abgewinnen, weil es um die sorgfältige „Inspektion“ (lateinisch: hineinsehen) meines Körpers geht. Beim Arzt bekomme ich eine Diagnose, beim Autohaus eine Rechnung, was dann – je nachdem – verschiedene Gefühle auslöst.
Die ersten Christen lebten im schönen Gefühl der Naherwartung. Sie glaubten an die baldige Wiederkunft des Herrn und den Beginn des Reiches Gottes noch zu ihren Lebzeiten. Es kam anders. Und so warten wir heute noch. Die Kirche hat es sich seitdem passend eingerichtet. Das hat Vor- und Nachteile. In solcher Zeit ist die Tugend der Geduld hilfreich. Davon sprach der Apostel Paulus: “Seid fröhlich in der Hoffnung, geduldig in der Trübsal, beharrlich im Gebet” (Römer 12,12).
In diesem Licht erscheint das Warten als etwas Sinnvolles. Es geht darum, Ausschau zu halten und Gottes Spuren in der Gegenwart zu erkennen. Sie sind oft ganz nah! Geduldig auf das Wachsen des Reiches Gottes vertrauen! „Der Grashalm wächst nicht schneller, wenn man an ihm zupft.“ – Eine freundliche Stimme ruft: „Kommen Sie bitte“! Ich stehe auf und folge.
Thomas Seibert
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