Das sehr hektische Tempo an der Kasse des Discounters ist eine Herausforderung. Die Person hinter der Plexiglaswand scheint sich mit mir immer wieder ein Duell zu liefern: Wer ist schneller? Wenn dann das Waschmittelpaket mit Schwung auf die Tomaten fliegt, spüre ich eine Mischung aus Verzweiflung und Erschöpfung. Ich frage mich, wie eine Familie so viel verzehren kann. Vom Einkaufswagen aufs Band, vom Band in den Einkaufswagen, dann in vielen Tüten ins Auto; in der Tiefgarage angekommen, beladen wie ein Packesel über eine Treppe und durch zwei schwere Stahltüren bis zum Aufzug und schließlich zur Wohnung. Beim Heben reißt eine der überfüllten Tüten, ich bücke mich und sammle das Zeug wieder ein. Als mein Sohn meinte: „Papa, ich habe Zweifel, ob das für uns am Wochenende reicht“, platze mir der Kragen…
Zweifel hat damit zu tun, etwas nicht zu glauben bzw. für möglich zu halten. Man könnte auch von starken Bedenken sprechen. In unserem Fall spielt noch die Angst eine wichtige Rolle: nämlich die Angst, nicht satt zu werden. Der althochdeutsche Wortursprung lautete zwival, zwei und falt, später zwiespältig. Es geht um einen Zustand der Unentschiedenheit zwischen zwei oder mehr Möglichkeiten. Die alten Griechen sprachen von der Skepsis, was sich mit misstrauischer Vorsicht umschreiben lässt. Bemerkenswert ist noch, dass im christlichen Kontext der Zweifel als Sünde galt. Ein Mangel an Glauben kann zur Verzweiflung führen. Der Philosoph René Descartes (1596-1650) erhob den Zweifel zur wissenschaftlichen Methode, um einen Erkenntnisfortschritt zu erzielen. Manchmal ist es unklug, einfach alles zu glauben: „Du musst die Dinge kritisch hinterfragen!“ Das uns vertraute Wort Krise bedeutet auf Griechisch Entscheidung. Vor meinem geistigen Auge sehe ich die vielen dankbaren Beschuldigten, die einem scharfen Urteil nur deswegen entkommen konnten, weil ein alter römischer und immer noch gültiger Rechtsgrundsatz sie schützte: “In dubio pro reo” – “Im Zweifelsfall für den Angeklagten”.
Also: Je nach Blickwinkel hilft der Zweifel, im guten Sinn eine Entscheidung zu treffen und der Wahrheit näher zu kommen oder er zerstört das überlebenswichtige Vertrauen.
Auf diesem Hintergrund darf ich dazu einladen, einen Text des Evangelisten Lukas zu lesen:
„Die beiden Jünger, die von Emmaus zurückgekehrt waren, erzählten den Elf und die mit ihnen versammelt waren, was sie unterwegs erlebt und wie sie Jesus erkannt hatten, als er das Brot brach. Während sie noch darüber redeten, trat er selbst in ihre Mitte und sagte zu ihnen: Friede sei mit euch! Sie erschraken und hatten große Angst, denn sie meinten, einen Geist zu sehen. Da sagte er zu ihnen: Was seid ihr so bestürzt? Warum lasst ihr in eurem Herzen Zweifel aufkommen? Seht meine Hände und meine Füße an: Ich bin es selbst. Fasst mich doch an und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen, wie ihr es bei mir seht. Bei diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und Füße. Als sie es aber vor Freude immer noch nicht glauben konnten und sich verwunderten, sagte er zu ihnen: Habt ihr etwas zu essen hier? Sie gaben ihm ein Stück gebratenen Fisch; er nahm es und aß es vor ihren Augen. Dann sagte er zu ihnen: Das sind meine Worte, die ich zu euch gesprochen habe, als ich noch bei euch war: Alles muss in Erfüllung gehen, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich geschrieben steht. Darauf öffnete er ihren Sinn für das Verständnis der Schriften. Er sagte zu ihnen: So steht es geschrieben: Der Christus wird leiden und am dritten Tag von den Toten auferstehen und in seinem Namen wird man allen Völkern Umkehr verkünden, damit ihre Sünden vergeben werden. Angefangen in Jerusalem, seid ihr Zeugen dafür.“ Lk 24, 35–48
Das Tröstliche an diesem Text ist, dass Jesus selbst dazu einlädt, im Herzen keine Zweifel aufkommen zu lassen. Wir benötigen ein gesundes Misstrauen im Alltag. Wenn das aber zu einem grundlegenden Vertrauensverlust führt, machen sich Angst und Verzweiflung breit. Und weil Jesus die Mahlgemeinschaften liebte und das Reich Gottes mit einem himmlischen Hochzeitsmahl verglich, war es naheliegend, den Jüngern nicht nur schöne Worte zu sagen, sondern mit ihnen gemeinsam etwas zu essen, gleichsam als Vertrauensbeweis. Mit Menschen gemeinsam essen, fördert das Vertrauen, das einen göttlichen Ursprung hat.
Aus der oben erwähnten überfüllten Einkaufstüte waren auch zwei Dosen mit Hering herausgefallen, die wir nach dem Aufräumen gemeinsam gegessen haben. Die Angst, nicht genügend zum Leben zu haben, erweist sich meistens als unbegründet. Und so war der Zweifel verflogen und Frieden im Herzen.
Thomas Seibert
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Lieber Thomas, vielen Dank für diesen – wie so oft – sehr inspirierenden Text.
Ich gehe damit in Resonanz und als spontaner Impuls kommt mir in den Sinn: “Alles hat seine Zeit” – So denke ich, dass Zweifeln seine Zeit genauso hat wie zweifelloses Vertrauen. In der Tat glaube ich, dass mir der Zweifel hilft, mich weiterzuentwickeln. Der Zweifel ist bei mir oft verbunden auch mit unbequemen Fragen. Auch Fragen “die man als ‘guter Christ’ (Wer ist man? Was genau ist ein guter Christ? Gibt es überhaupt gute und andere Christen?) nicht stellt”. Die Ergebnisse sind manchmal erschreckend, aber führen mich meist mit etwas Zeitverzug zu neuen Erkenntnissen, die dann meinen Glauben und mein Vertrauen sogar festigen, weil Dinge, die vorher – vielleicht auch unbewusst unstimmig waren – stimmiger geworden sind. Wer ohne jeden Zweifel ist, der läuft Gefahr hochmütig zu werden. Aber mir scheint – wie mit nahezu allen Dingen im Leben – ist es eine Frage der situationsgemäß richtigen Balance, ob mich der Zweifel “verzweifeln” lässt oder mich weiter bringt. Und vermutlich ist das die Kunst, die es immer wieder zu üben gilt: Zweifeln ohne zu verzweifeln – und sich dann auch wieder ohne jeden Zweifel einfach in vollem Vertrauen fallen lassen.
Lieber Marco,
vielen Dank für Deine Rückmeldung, die mich sehr gefreut hat.
Der “zweifelnde” Apostel Thomas ist ja mein Schutzpatron. Das gibt mir ein beruhigendes Gefühl. Zweifel darf sein, hat seinen Sinn und kann zu neuen Erkenntnissen führen.
Ganz wertvoll auf meinem Lebensweg war die Ausbildung bei den Jesuiten in Frankfurt. Dort war die Orientierung am heiligen Ignatius von Loyola maßgebend: Wichtig ist, eigene Gefühle, Stimmungen, Gedanken und Fragen genau zu beobachten und sich dem ehrlich zu stellen. In einem zweiten Schritt wird das Erkannte mit dem Wort Gottes in Verbindung gebracht. So wird aus der Selbstreflexion ein lebendiger Dialog mit Gott. Das ist oft unbequem, manchmal ernüchternd. Es hat mich aber vor einigen Illusionen und Phantasien bewahrt. Dafür bin ich bis heute dankbar!
Liebe Grüße
Thomas Seibert