Neulich kam ich auf einem meiner Spaziergänge dazu, wie zwei ältere Herren sich an einem Gartentörchen unterhielten. Einer stand drinnen – er wohnte dort. Der andere stand draußen, er war einer der entfernteren Nachbarn. Und weil ich beide kannte, stellte ich mich auch noch dazu und hörte mit. Es ging um die Gebrechen des Älterwerdens im Allgemeinen und im Besonderen. Und zu dem Besonderen gehört heutzutage ja sehr oft diese vermaledeite Krankheit mit dem komischen Namen „Altersheimer“ oder so ähnlich.
Sie ist grausam. Sie entwindet dem Gedächtnis oft sogar die liebsten und wichtigsten Menschen und Dinge und wirft einen zurück in die früheste Vergangenheit: Kindheitserinnerungen sind meist das letzte, was zurückbleibt. Wohl dem, der sich dann wenigstens an Gutes erinnern kann und in der Kindheit Gutes gelernt hat. Gebete, Lieder, Bibelworte zum Beispiel. Oder die Praxis der Sakramente. Und wehe dem, der sich dann nur noch an Hits aus den Charts der 70er Jahre oder an die Helden aus den Filmen, Soaps und Computerspielen erinnert, die er sich als Kind reingezogen hat. Man sagt, dass ein Mensch in dieser Lage in der Regel nicht mehr über das Denken erreichbar ist, aber sehr wohl noch über die Gefühle, die früher mit bestimmten Menschen oder Ritualen verbunden waren und es auch bleiben.
Ich habe es auch schon mehrfach erlebt, dass Alte und Sterbende, die den Eindruck erwecken, sie dösten nur noch vor sich hin und kriegten gar nichts mehr mit, auf einmal hellwach werden und mitsprechen, wenn man ihnen das Vaterunser oder ein Ave Maria vorsagt. Auch die Lieder, die sie im Katechismusunterricht oder zuhause gelernt hatten, halfen ihnen nun auf der letzten Wegstrecke. Früher gab’s diese Krankheit nicht so oft. Aber die Leute werden ja immer älter und, wie heißt es so schön: alt werden will jeder, alt sein keiner.
Zurück zu uns drei vom Gartentor:
Franz (der auf der Innenseite des Törchens) sagte zu Paul:
„Du, ich hab jetzt einen neuen Arzt, der gibt mir so tolle Tipps, wie ich mir die Sachen besser merken kann.“
Paul darauf: „Echt wahr? Wie heißt der Arzt?“
„Wart, ich sag’s dir gleich … da gibt’s doch so Blumen mit langen Stielen …“
Er zeichnete mit den Händen einen langen Stiel in die Luft und ballte am oberen Ende die Finger zur Faust.
„Und oben ist sie meistens rot oder weiß, und am Stiel sind so Dornen …“
„Rose!“, fiel ihm Paul ins Wort.
„Ja, richtig! Rose!“ Er drehte sich um und rief ins Haus hinein: „Rose!!! Wie heißt der Arzt, zu dem ich jetzt immer gehe?“
Ich drehte mich auch um und ging weiter.
Wie gut, dass Gott nicht vergesslich ist, dachte ich.
Zum alttestamentlichen Propheten Jesaja sagte er – und meinte damit jeden Angehörigen seines Volkes:
„Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein!“ (Jes 43,1).
Jeden von uns kennt er mit Namen. Für jeden von uns hat er einen Plan.
Jedem von uns gilt sein Angebot, eine Liebesbeziehung zu führen und mit ihm zu gehen.
Schade, dass ich so vergesslich bin!
Aber sowas von.
Kaplan Andreas Theurer