Einerseits klingt das recht vernünftig – vor allem im Blick auf die gegenwärtige Lage in der Welt. Denn die Zeiten werden schwieriger. Andererseits regt sich in den Tiefen der Seele ein emotionaler Widerstand. Da ist der Wunsch nach einem glücklichen und sorgenfreien Leben, was mit einem gewissen wirtschaftlichen Wohlstand zu tun hat. Ein wichtiger Punkt ist dabei das Verreisen zu reizenden Orten der Sehnsucht: Erholung, gutes Essen und neue kulturelle Eindrücke wirken faszinierend. Der Schriftsteller Leo Tolstoi bemerkte einst trefflich: „Am anderen Ufer ist das Gras immer saftiger.“
Neulich telefonierte ich mit einem guten Freund in Hamburg und erzählte ihm etwas deprimiert, dass in diesem Jahr unsere Reisepläne sich wieder ins Nichts aufgelöst haben. Das hatte damit zu tun, dass wegen Personalmangels unser jüngerer Sohn keinen Platz in der Kurzzeitpflege bekam und somit mein gesamter Sommerurlaub mit Pflegearbeit zu verbringen war. Das ist in Ordnung, hinterlässt aber leider auch ein Gefühl der Unzufriedenheit.
Der Freund erzählte mir von der Pflege seiner Eltern und schob einen entscheidenden Satz hinterher, der mir zu denken gab: „Lieber Thomas, verstehe mich bitte nicht falsch – aber versuche doch, es als geistliche Übung zu sehen.“ Das war wie ein Stück hartes Brot zum Kauen.
Widrigkeiten können einen Prozess in Gang bringen, langsam und Tag für Tag immer mehr innere Unabhängigkeit anzustreben und einen tieferen Sinn zu suchen. Kreise, die enger werden, führen zur Mitte. Die Konzentration auf das Wesentliche schenkt Zufriedenheit und Kraft für den Aufbruch zu neuen Ufern.
Thomas Seibert, Diplomtheologe
Bild: Hildegardis Codex um 1147
Marco Meier meint
Schön geschrieben. Vielen Dank!
Thomas Seibert meint
Lieber Marco,
vielen Dank für Deine Rückmeldung. Ich muss selbst daran täglich arbeiten, meinen inneren Frieden zu finden.
Liebe Grüße
Thomas