Das dachte sich vermutlich jene Person, die in unserer Wohnanlage lebt, und den unglücklichen Umstand nutzt, dass die Paketboten aus Gründen der Zeitersparnis die zahlreichen Warensendungen einfach im Hausgang ablegen. Dort liegen dann, für jeden gut zugänglich, die Päckchen und Pakete – verbunden mit der Hoffnung, bis zum Abend den passenden Empfänger gefunden zu haben. Jene Person hat sich gelegentlich an diesem gleichsam öffentlichen „Gabentisch“ bedient. Im Gegensatz zum richtigen Empfänger weiß jene Person nicht, was der Karton beinhaltet. Das Öffnen ist also jedes Mal eine echte Überraschung. Ein klarer Vorteil.
Ein ebenfalls unglücklicher Umstand ist, dass unser inzwischen jugendlicher behinderter Sohn leider immer noch auf Windelhöschen angewiesen ist. Und so bestelle ich regelmäßig über ein großes Verkaufsportal ein entsprechendes Paket, das dann auf dem „Gabentisch“ im Hausgang liegt. Humorvoll kann ich mir vorstellen, wenn unter einem fremden Weihnachtsbaum unsere Windelhöschen zum Vorschein kommen: Frohe Weihnachten!
Die Sache mit den Windeln ist gar nicht so abwegig, wie ein Blick in die Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Lukas zeigt:
Es geschah aber in jenen Tagen, dass Kaiser Augustus den Befehl erließ, den ganzen Erdkreis in Steuerlisten einzutragen. Diese Aufzeichnung war die erste; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Es geschah, als sie dort waren, da erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.
Der Evangelist Lukas macht sich die Mühe, eigens diese Windeln zu erwähnen. Warum? Windeln haben etwas mit Fürsorge und Wohlgefühl zu tun. Wenn ich in den Altenheimen als Seelsorger unterwegs bin, erlebe ich, dass eine gute Pflege den Menschen die angemessene Würde gibt, die Gott ihnen geschenkt hat. Das ist ein wichtiger Teil der Frohen Botschaft im Alltag der Menschen. Gott im Alltag!
Unser Sohn war auf dieses Paket angewiesen. Also habe ich im Aufzug einen kurzen Hinweis angebracht und in freundlicher und korrekter Anrede: „Liebe Diebin, lieber Dieb, liebe stehlende Person“ mit offener Begründung um Rückerstattung gebeten – was nach einer gewissen Zeit auch geschah. Vielleicht ging es jener Person wie einem ehemaligen Schüler, der mir mit großer Offenheit erzählte: „Immer wenn ich gestohlen habe, spüre ich eine innere Stimme.“ Ich habe keine Furcht mehr, dass unser besonderes Paket in die falschen Hände kommt. Ich muss im Gegensatz zu den biblischen Hirten keine Nachtwache im Treppenhaus verbringen und darf auf die Güte Gottes und die Güte der Menschen vertrauen:
In dieser Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu ihnen und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte sie und sie fürchteten sich sehr. Der Engel sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn siehe, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens. (Lukas 2, 1-14)
Thomas Seibert, Diplomtheologe
Bild: pixabay
Kneidl meint
Bibelstelle trifft Alltag
Lieber Herr Seibert, Sie schreiben wie immer aus dem realen Leben und finden dazu den Bogen zur Bibel.
Thomas Seibert meint
Liebe Frau Kneidl,
vielen Dank für Ihre Rückmeldung, die mich sehr gefreut hat. Von Herzen wünsche ich Ihnen und Ihren Lieben ein schönes und friedliches Weihnachtsfest und ein von der Gnade Gottes erfülltes Neues Jahr 2024!
Thomas Seibert